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Das wahre Antlitz Gottes

Armin Kreiner

... oder was wir meinen, wenn wir Gott sagen


...Religiöse Sprecher erwecken nicht selten den Eindruck, als ob in ihren Worten quasi Gott selbst über sich spreche, und zwar vorwiegend dann, wenn sie mit abweichenden Auffassungen konfrontiert sind. Sie suggerieren, dass es in ihrem Fall Gott selbst - sei es sein Wort oder seine Natur - verbiete, Aussagen über ihn allgemeinen Regeln, Kriterien oder Standards zu unterstellen, indem man etwa nach ihrer rationalen Begründung und Rechtfertigung fragt oder sich genauer erkundigt, was die verwendeten Begriffe eigentlich bedeuten und wie sie zusammenpassen. Derartige Anfragen werden mit dem Hinweis zu unterlaufen versucht, dass es außer Gott selbst keine Instanz geben könne, der die eigene Rede von Gott Rechenschaft schuldig sei.

Dieses Verfahren basiert auf einem vielleicht naheliegenden, aber trotzdem gravierenden Trugschluss. Dieser entsteht dadurch, dass die Entstehungsbedingungen der Gotteserkenntnis verschleiert werden. Unterschlagen wird zunächst, dass es um die Rechtfertigung der eigenen Überzeugungen von Gott geht. Denn immer, wenn Menschen bestimmte Überzeugungen von Gott vertreten, verdankt sich dies einer Entscheidung, die sie selbst getroffen und demzufolge auch zu verantworten haben. Die Bürde, eine solche Entscheidung zu treffen oder darauf zu beharren, lässt sich nicht auf Gott selbst abwälzen. Keine Macht der Welt und auch nicht Gott kann aus »meiner« Überzeugung etwas anderes machen als »meine« Überzeugung, denn selbst wenn ich davon überzeugt wäre, dass mir meine Überzeugungen über Gott direkt von Gott selbst offenbart oder mitgeteilt worden wären, würde es sich dabei um meine Überzeugung handeln. Eine Heilige Schrift oder eine religiöse Institution könnten zwar unfehlbar sein, zumindest lässt sich dies nicht a priori ausschließen. Ich bin es jedenfalls nicht, und ich kann auch nicht dadurch unfehlbar werden, dass ich an deren Unfehlbarkeit partizipiere, weil jede derartige Partizipation unausweichlich durch meinen eigenen fehlbaren Glauben an die entsprechende Schrift oder Institution vermittelt bleibt. Bekanntlich kann keiner sich am eigenen Schöpf aus dem Sumpf ziehen. Genau dies wird versucht, wenn jemand im Diskurs über den adäquaten Gottesbegriff auf Gott selbst rekurriert. Er ignoriert, dass es sich selbst dann noch um seine Überzeugungen handelt, wenn er davon überzeugt ist, dass sie unmittelbar auf Gott zurückgehen. Gleichzeitig nimmt er für sich einen privilegierten und direkten Zugang zur göttlichen Wirklichkeit in Anspruch, den er seinen Kontrahenten allem Anschein nach abspricht. Während die anderen angeblich nur über Gott sprechen, spricht in der eigenen Rede anscheinend Gott selbst. Erwartungs- und erfahrungsgemäß erübrigt sich dadurch in der Regel jedes weitere Argument. Dass dieser Trugschluss bei entsprechend Anfälligen den Übergang von notorischer Besserwisserei zu penetrantem Fanatismus begünstigt, ist zu erwarten. Unabhängig davon fragt sich, auf wessen Seite denn nun Hybris und Blasphemie anzusiedeln sind: auf der Seite derjenigen, die ihre Rede von Gott selbstkritisch im Bewusstsein ihrer eigenen fehlbaren Entscheidung zu rechtfertigen und überprüfen bereit sind, oder auf der Seite derjenigen, die dies kategorisch ablehnen, weil sie davon überzeugt sind, dass in ihrer Rede von Gott angeblich dieser selbst spricht.

(S.184-185)


...Aufgrund ihrer Entstehung lassen sich religiöse Überzeugungen nicht von anderen Überzeugungen isolieren. Als Erklärungen bestimmter Sachverhalte, Situationen oder Ereignisse stehen sie in einem Zusammenhang zu anderen Überzeugungen über die Beschaffenheit von Welt und Mensch. Aufgrund dieses Zusammenhangs sollten religiöse Überzeugungen nicht nur für sich genommen widerspruchsfrei sein. Sie sollten auch in keinem Widerspruch zu Überzeugungen stehen, die aus Gründen als wahr erachtet werden, die nicht direkt mit dem Glauben an Gott zusammenhängen. Diese externe Widerspruchsfreiheit wird im Folgenden als logische »Kohärenz« bezeichnet. Die klassischen Inkohärenzprobleme des Theismus bestehen in der Vereinbarkeit von göttlicher Allwissenheit und menschlicher Willensfreiheit sowie in der Vereinbarkeit von göttlicher Allmacht und Güte mit der Erfahrung von Übel und Leid. Nicht jeder scheinbare Widerspruch ist auch ein tatsächlicher Widerspruch. Die Verwendung von Analogien, Metaphern und anderen nicht-wörtlichen Redeweisen bringt eine gewisse semantische Elastizität mit sich, die es nahe legt, mit dem Widerspruchsverdacht vorsichtig umzugehen. ...

(S.187-188)


...Die Verbindlichkeit logischer Regeln zu begründen, insbesondere im Hinblick auf religiöse Behauptungen, ist erfahrungsgemäß schwierig. Eine Begründungsmöglichkeit besteht darin, auf die Konsequenzen hinzuweisen, die sich einstellen, wenn religiöse Rede von der Einhaltung logischer Regeln dispensiert wird. Diese Konsequenzen bestehen darin, dass die Zulassung von Widersprüchen die Rede von Gott unverständlich, einen rationalen Diskurs unmöglich und ihren Geltungsanspruch zunichte machen würde. Intelligibilität, Rationalität und Wahrheitsfähigkeit von Behauptungen hängen entscheidend von der Einhaltung logischer Regeln ab. Dies gilt auch für die religiöse Rede von Gott, sofern diese Behauptungen enthält.

Das Problem der Intelligibilität besteht zunächst darin, dass widersprüchliche Aussagen nicht verständlich zu sein scheinen30. Die Ausdrücke »quadratisch« und »kreisförmig« sind für sich genommen verständlich. Die widersprüchliche Behauptung, eine zweidimensionale geometrische Figur sei gleichzeitig quadratisch und kreisförmig, ist dagegen unverständlich. Die Aussage, dass Gott barmherzig und gerecht ist, ist für sich genommen ebenso verständlich wie die Aussage, dass Gott nur wenige zur Seligkeit, aber viele zur Verdammnis vorherbestimmt. Zusammen sind diese Aussagen aber unverständlich, denn die zweite Aussage widerspricht jeder auch nur entfernt gehaltvollen Bedeutung von Barmherzigkeit und Gerechtigkeit32. Werden derartige Widersprüche zugelassen, kommt keine intelligible Äußerung zustande. In diesem Fall drohen Aussagen über Gott zu einem Konglomerat von Ausdrücken zu werden, die zwar je für sich verständlich sein mögen, die aber zusammen genommen keinen Sinn mehr ergeben. Durch die Zulassung von Widersprüchen degeneriert die Rede von Gott zu einer Artikulation von Worten, unter denen sich niemand mehr etwas bzw. jeder sich alles vorstellen kann. In performativer Hinsicht mag solche Rede durchaus effizient sein. Auch unverstandene und missverstandene Rede bewirkt zweifellos etwas. Intelligibel dürfte diese Rede aber vermutlich nicht mehr sein.

Ein weiterer Grund betrifft die kritische Überprüfbarkeit der Rede von Gott. Sofern Widersprüche zugelassen werden, kann die betreffende Aussage nicht mehr kritisiert werden, denn die grundlegendste Methode jeder argumentativen Kritik besteht darin, Widersprüche in Form von Inkonsistenzen und Inkohärenzen aufzuzeigen. Die Zulassung von Widersprüchen - so Karl Popper - ziehe den Zusammenbruch von Kritik und folglich auch von Rationalität  nach sich. Popper fugt hinzu, für jemanden, dem an Wahrheit und Aufklärung liege, sei es nicht nur notwendig, sondern geradezu eine Pflicht, sich Darum zu bemühen, sich so klar und unzweideutig wie möglich auszudrücken, auch wenn dies bedeute, auf gewisse metaphorische Feinheiten und kluge Zweideutigkeiten zu verzichten. Es gibt keinen einleuchtenden und respektablen Grund, religiöse Aussagen von diesen Forderungen zu dispensieren. Widersprüche grundsätzlich zuzulassen, unterminiert jeden rationalen Diskurs. Sie nur für den eigenen Standpunkt zuzulassen, zieht dieselbe Konsequenz nach sich. Wer sich Kritik aufgrund angeblicher Widersprüche entzieht, hat nämlich kein Recht, andere aufgrund von Widersprüchen zu kritisieren, womit sich wiederum jeder rationale Diskurs erledigt hätte. Wer sich dieses Recht trotzdem herausnimmt, um dessen Glaubwürdigkeit dürfte es ohnehin schlecht bestellt sein.

Das Widerspruchsverbot verbietet es, aus den verschiedenen Gottesvorstellungen nach Belieben einen passenden Gottesbegriff auszuwählen. Möglicherweise verbietet es sogar, alle traditionellen Prädikate beizubehalten. In jedem Fall verbietet es, diese je nach Belieben durch neue oder vermeintlich zeitgemäßere zu ergänzen. Indem das Konsistenz- und Kohärenzpostulat Kritik ermöglichen, schließen sie eine willkürliche oder beliebige Definition des Gottesbegriffs aus.

Ein noch grundlegenderes Problem besteht in der Frage, ob Widersprüche nicht das Zustandekommen von Aussagen überhaupt vereiteln. Joseph Bochenski hat in seinem Plädoyer für die Universalität der Logik behauptet, wer widerspruchsvoll rede, sage »damit überhaupt nichts aus«. Eine Behauptung aufzustellen bzw. etwas mitzuteilen, impliziere nämlich, aus »einem vorgegebenen Bereich von Möglichkeiten durch ein Zeichen eine Auswahl« zu treffen, indem man beispielsweise eine Kuh als »schwarz« bezeichne, wähle man aus dien möglichen Farben eine und schließe alle anderen aus. Widersprüche würden diese Auswahl rückgängig machen, so dass überhaupt keine Aussage zustande käme und gar nichts mitgeteilt würde. In eine ähnliche Richtung zielt der Einwand, dass aus der Zulassung kontradiktorischer Prämissen sämtliche Aussagen abgeleitet werden können, so dass eine Theorie, die einen Widerspruch enthält, alles und insofern nichts beinhaltet und als Theorie völlig unbrauchbar wird.

(S.189-191)


(jeweils unter Auslassung der Fußnoten)

aus "Das wahre Antlitz Gottes"

Herder, Freiburg im Breisgau (2006)

ISBN-13: 978-3-451-28776-3

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